Freitag, 17. Juli 2009

Donnerstag, 16. Juli 2009

 
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Ruhig und zielstrebig wanderte die junge Frau auf den Friedhof zu. Sie kannte die Stelle, wo Zara ult Akhamuk im Frühling beigesetzt war. Stolz und eisig funkelte der Mond; die junge Frau vermeinte eine Art rhythmisches Ziehen zu spüren, sogar der Boden schien sanft zu vibrieren. Die junge Frau überliess sich ganz diesem Gefühl. Die Finsternis, deren dunkler Ring die Ebene in enger Umarmung hielt, barg für sie keinen Schrecken. In der Ferne heulte ein Hund, wie Hunde es tun, wenn sie Fremde wittern. Die junge Frau verspürte nicht das geringste Unbehagen. Das Heulen ging in Kläffen über; dann wurde es es still. Nur der Wind erzeugte in der Ferne ein dumpfes, auf- und abschwellendes Dröhnen, das wie das Rauschen einer gigantischen Muschel klang. Der Geist der Wüste war der Geist des Wassers; aber dies wussten nur wenige Menschen.
Der Friedhof war jetzt ganz nahe; die flachen Steinhaufen leuchteten im Mondlicht. Hier und da waren Stoffstreifen an einem Holzstab befestigt und am Kopfende des Grabes in den Sand gerammt, das zeigte, dass die Gräber noch frisch waren.
In unmittelbarer Nähe eines dieser Gräber blieb die junge Frau stehen und blickte zum Mond hinauf. Sie öffnete die Lippen, sang leise vor sich hin. Das dauerte eine ganze Weile. Sie stand völlig unbeweglich; ihr Schatten fiel fast senkrecht und war wie mit ihr verwachsen. Plötzlich hob sie die Hand. Sie sagte ein einziges Wort auf Tamahaq, das in der Stille deutlich widerhallte.
"Jetzt!"
Der Mann hörte das Wort; mit leichter Bewegung liess er seinen Wasserschlauch von der Schulter gleiten und setzte sich in den Sand. So unbeweglich verhielt er sich jetzt, dass er einem Stein glich, dessen Umrisse sich schwarz vor der hellen Sandfläche abhoben. Die junge Frau atmete tief und regelmässig. Sie hob das Gesicht zum Vollmond empor; es war, als zöge sie seine Kraft mit jedem Atemzug stärker in sich hinein. Dann kniete sie nieder. Sie beugte sich vor und streckte die Hand aus. Ihre Fingerspitzen berührten den Boden. Mit Bewegungen, tastend und zögernd wie die einer Blinden, zog sie mit dem rechten Zeigefinger ein grosses Viereck in den Sand. Sie teilte das Viereck in vier gleich grosse Felder. Und während der ganzen Zeit, da sie diese Figur mit den Fingern in den Sand zeichnete, sah sie kein einziges Mal hin. Sie schien nichts zu sehen, nichts zu hören, doch die Konturen jeder Figur waren vollkommen symmetrisch. Nun begann sie, mit dem Zeige- und Mittelfinger der linken Hand eine Anzahl Windungen und Spiralen in jedes dieser vier Felder zu zeichnen. Das dauerte eine gewisse Zeit. Der Mann sah zum Mond empor, der nicht mehr hoch über der Ebene schien, sondern schräg auf das Gebirge zuwanderte. Der Mann rührte sich nicht im geringsten, atmete flach. Er spürte sein Herz kräftig schlagen.
Traumbefangen, mit blinden Augen, zog die junge Frau ihre Linien in den Sand. Er sah den Schatten ihres Armes, der sich am Boden abzeichnete. Er starrte wie gebannt auf diesen sich langsam bewegenden Schatten und glaubte auf einmal die Erdschlange zu sehen, die mit kleinen, nervösen Zuckungen vor seinen Augen tanzte . Jetzt kroch der Schatten in eines der vier Felder, ringelte sich dort zusammen, ein stiller, dunkler Kreis. Eine optische Täuschung? Der Mann hätte es nicht sagen können. Er erschauerte leicht, denn diese Dinge waren nicht für die Augen der Männer bestimmt.
Nach einer Weile verlor der Mann jegliches Zeitgefühl. Und auf einmal war es vorbei; die Vision verschwand, ebenso geheimnisvoll, wie sie aufgetaucht war. In dem Viereck war nichts Lebendiges mehr, nur eine seltsam geformte Spirale in Form ein einer Acht, der das Mondlicht eine eigentümliches Relief verlieh. Und im selben Augenblick, als der Mann die Zeichnung im Sand als Trugbild zu erkennen glaubte, stiess die junge Frau einen kurzen, heiseren Seufzer aus. Ihr erstarrtes Gesich belebte sich. Sie zog die Brauen zusammen, runzelte die Stirn, legte die Finger flach auf die geschlossenen Augen. Der Mann erhob sich, lautlos trat er zu ihr. Sie hob mit müdem Lächeln das Gesicht zu ihm empor. Er sah, wie ihr Zungenspitze über die Lippen fuhr. Die halbe Nacht war vergangen, der Mond wie Bronze verdunkelt. Schon brach im Osten das Grau der Dämmerung hervor, und es war eiskalt. Er setzte sich ihr gegenüber, warf einen Blick auf die halb verwischte Figur. Die kreuz und quer verlaufenden Linien und Kreise ergaben für ihn nicht den geringsten Sinn. Er öffnete den Wasserschlauch und hielt ihn ihr hin. Sie trank in langen, gierigen Zügen, wobei sie etwas Wasser über ihren Pullover verschüttete. Dann fuhr sie mit dem Handrücken über Lippen und Kinn. Endlich sah sie ihn an. Die Vision stand immer noch vor ihren Augen und gab ihrem Blick etwas Suchendes. Ihre Stimme war rauh:
"Wie lange hat es gedauert?"
"Es wird bald Tag", sagte er.
"Mir ist kalt", stiess sie hervor.
Er hüllte sie in seinen Umhang ein, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Sie hatte die Schlange befragt. Er wusste, dass sie müde war.

Federica de Cesco, Wüstenmond
 
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Donnerstag, 9. Juli 2009

 
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Melisandra tat so, als sässe sie ganz entspannt auf ihrem Platz, und versuchte gleichzeitig, möglichst genau durch das Ruderloch zu schauen, möglichst viel mit ihrem Blick zu erhaschen. Je näher sie dem Strudel kamen, desto ruhiger wurde sie. Eine kalte, harte Entschlossenheit hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie konnte sehen, wie das Wasser schaumig an den schwarzen Felsen hochspritzte. Sie musste an ihren Grossvater denken, der zu dieser Stunde sicher in seinem Schaukelstuhl Siesta hielt, den Kopf im Schlaf zur Seite geneigt, die Baskenmütze in den Händen auf seinem Schoss. Das Wasser floss jetzt glatt, nur leicht gewellt und spiegelte sich auf den schwarzglänzenden Felsen wie in einem Spiegel aus Glas.
Vielleicht so dachte Melisandra, war dies der Trick, vielleicht musste sie das Zentrum des Strudels nur als Spiegelbild auf dem Felsen und nicht direkt ansehen. Vielleicht verlor er dann die tödliche Wirkung, seine mörderische Anziehungskraf. Schon konnte sie die nach innen immer enger werdenden Wirbel sehen, das zäh wie flüssiges Silber kreisende Wasser.
"Jetzt alle die Augen schliessen", liess sich Pedro vom Ruderstand her dröhnend vernehmen.
Melisandra hielt die ihren weit offen und atmete tief durch den Mund, denn sie fühlte einen eisernen Ring um ihre Brust gelegt. Und da sah sie es endlich. Das Zentrum des Strudels war von einem schillernden Schwarz, in dem alle Farben einen winzigen Augenblick lang aufzuleuchten schienen, um sich dann ineinander aufzulösen. Lange Lianen und exotische Vögel schwebten auf unterschiedlicher Höhe und drehten sich schwindelerregend schnell im Kreis. Sie sah das lüsterne Gesicht eines Seemanns neben dem nackten Körper einer sehr hellhäutigen Frau, deren Schönheit sie vor Rührung erschauern liess. Sie sah Truhen und Boote und Stühle, Kommandobrücken von Geisterschiffen und ihre Kapitäne in der erhabenen Haltung, mit der sie sang- und klanglos untergegangen waren; sah ein ganzes, regloses Orchester mit seinen Violinen, Bratschen, glänzenden Flöten, sah Mütter, die sich über die Gesichter ihrer Kinder beugten, sah Landkarten versunkener Regionen, Fernrohre, herrliche Galionsfiguren, strahlend weisse Kerzen; sie sah Tausende von Sanduhren, die in endlosem Wechsel abliefen und sich wieder füllten, und sah schliesslich die stille Iris des Wassers im Zentrum, herrlich wie eine Lagune am Ende der Welt. Es dauerte nur einen Augenblick, da hatte sie sich schon erhoben. Wollte mehr sehen, wollte die menschenäugigen Fische kennenlernen und die Meerjungfrauen singen hören. Nichts bedeutete mehr etwas, nur noch dies. Es war von einer solch ergreifenden Schönheit... war, wie in einen Mutterleib zu schauen und die Substanz von Leben und Tod gleichzeitig zu erblicken: Plankton, Algen, die Architektur des Universums. Ach, könnte sie doch nur auf eine der Ruderbänke steigen, um besser zu sehen!
"Melisandraaaaaaaaaa!!!"

Gioconda Belli, Waslala
 
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